Seid beharrlich im Gebet.

Predigt von Pfarrer Jo Römelt am Sonntag 27. Februar - drei Tage nach dem Beginn des Ukrainekrieges. Gedanken zu Römer 12,12

Hättet Ihr gedacht, dass Wladimir Putin diesen Krieg wirklich beginnt? Ehrlich gesagt: ich nicht. Natürlich gab es mehr und mehr Anzeichen dafür. Aber ich hatte tatsächlich die Hoffnung, dass er diesen letzten Schritt scheuen würde. Aber jetzt ist Krieg – ein Angriffskrieg im Osten Europas. Kann man sich kaum vorstellen, oder? Wir hätten das nach Jahrzehnten des Friedens doch kaum für möglich gehalten.

Welches Wort drückt aus, was wir jetzt empfinden: Entsetzt? Schockiert? Tief erschüttert? Wahrscheinlich das und noch mehr. Und wie muss es erst den Menschen in der Ukraine selbst gehen! Was müssen sie durchmachen? Ich kann es mir nicht vorstellen. Manche von Euch Älteren können sich das vorstellen. Einige von Euch werden sich da ganz  erschreckend an eigene Erfahrungen erinnern. Jemand hat gesagt: „Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas ein zweites Mal erleben muss.“ Wie müssen das erst die älteren Menschen dort vor Ort empfinden! Ich denke an die Bilder von Kiew gestern. Und an die Bilder der Flüchtenden, die sich an der polnischen oder rumänischen Grenze trennen müssen, weil nur die Frauen, die Kinder und die Älteren gehen können. Die jüngeren Männer an die Waffen müssen. Furchtbar. Diese Menschen zahlen wie immer den Preis für das, was Machthaber wie Putin planen und ausdenken. Ihnen muss unsere Aufmerksamkeit und unser Gebet jetzt gelten.

Pfarrer Römelt bei der Predigt am Sonntag

Und da spüre ich auch tiefen Zorn. Darüber, dass Teile dieser Welt von Menschen reagiert werden, deren Machtfülle so gar nicht zu ihrer inneren Reife passt. Wir erleben es gerade so heftig wie lange nicht mehr: Politische Macht in der Hand unreifer Menschen ist brandgefährlich. Und die sitzen nicht allein in Moskau.

Und es macht zornig, wie schamlos gelogen wird. „Nein, eine Invasion ist nicht geplant … Es handelt sich um eine Sonderaktion zur  Entnazifizierung der Ukraine …“ Hört Euch Putins Rede zum Kriegsbeginn an! Unglaublich… In der Politik ist immer gelogen worden – und anderswo auch. Auch in der Kirche. Aber es gab noch vor einer Weile selbst für die eingefleischtesten Lügner so etwas wie einen Punkt, an dem sie dachten: das wird jetzt doch zu offensichtlich. Es wurde wenigstens versucht, die Lüge zu tarnen. Heute hauen Menschen wie Putin und Trump schamlos alles raus, was ihren Interessen dient. Und behaupten einfach: „Das ist kein Tisch, das ist ein Ententeich!“

Ihr Lieben, wir sind wahrlich nicht die Hauptbetroffenen dieses Krieges. Und können erneut froh und dankbar sein, dass bei uns keine Bomben fallen. Und niemand eine Invasion in unser Land plant. Und trotzdem „macht“ dieser Krieg auch etwas mit uns. Er macht Angst. Wenn ich höre oder lese, was da gerade an ungehemmter Aggression passiert, wenn ich diese Sprache höre, die da gesprochen wird, dann komme ich mir vor wie in Dreißigern und Vierzigern des letzten Jahrhunderts. Und dachte doch, wir wären ein gutes Stück weiter. Ich spüre auch, wie ohnmächtig sich viele im Moment fühlen. Was können wir schon machen? Und was ist mit unserem Glauben an Gott in so einer Situation? Trägt der da wirklich?

Mir ist in den letzten Tagen irgendwann ein Satz aus dem Römerbrief durch den Kopf gegangen. Der Satz, der auf unseren drei Glocken steht, die nach dem nach dem Zweiten Weltkrieg neu gegossen und aufgehängt wurden. Römer 12, Vers 12: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.“ Der war irgendwann einfach hartnäckig da. Und ist mir erstmal im Halse steckengeblieben. „Fröhlich in Hoffnung“ – das geht gerade nicht so gut. Selbst leidenschaftliche Karnevalisten sagen mir: geht gerade nicht. Aber der Satz hat mich nicht losgelassen. Und je mehr ich ihn im Herzen bewege, desto mehr spricht er in all das hinein, was jetzt gerade ist.

Zum Beispiel der letzte Teil: „Seid beharrlich im Gebet!“ Ja, wir können wahrlich nicht viel tun. Aber beten können wir. Auf Facebook sind in den letzten Tagen viele Gebete geteilt worden. Und Einladungen zu Friedensgebeten. Und das ist gut. Ich weiß, manche sagen: „Das bringt doch nichts. Eure Gebete werden Putin mit Sicherheit nicht aufhalten.“ Nein, das werden sie wohl nicht. Und trotzdem sind sie wichtig. Zunächst für die Menschen in der Ukraine selbst: Sie sollen wissen, dass andere Menschen auf der ganzen Welt jetzt an sie denken und für sie beten. Und in diesen Gedanken und Gebeten an ihrer Seite stehen. Das ändert nichts an der äußeren Lage. Aber es kann hier drin etwas bewirken. Es gibt Kraft. Das können und das müssen wir für die Menschen dort tun. Und dann sind unsere Gebete auch eine Stellungnahme nach außen. Ich finde es normalerweise gar nicht gut, demonstrativ zu beten. Das Gebet ist ein Gespräch mit Gott und gehört ins stille Kämmerlein oder in den Gottesdienst der Gemeinde. Aber jetzt denke ich: In dieser Situation darf es noch mehr sein. Es darf auch ein Statement nach außen sein, eine Demonstration. Unsere Gebete machen nach außen deutlich, dass wir einer anderen Macht vertrauen als der Macht der Waffen und der aufgeblähten Egos. Wir glauben nicht, dass Macht und Gewalt das letzte Wort haben werden in dieser Welt, auch wenn es gerade wieder mal so scheint. Wir glauben daran, dass sich eine andere Macht letztlich durchsetzen wird, die Macht der Liebe Gottes.

Wobei jetzt jemand sagen könnte: Ist das denn wirklich so? Ist nicht im Moment auch unser Glaube ganz schön angegriffen? Fällt es nicht ganz schön schwer, gegen die Realität der Panzer und Bomben an einen Gott des Friedens zu glauben? An die Macht der Liebe? Wo denn? Ich kenne diese Gedanken auch. Und höre mitten in ihnen die mittleren Worte des Römerverses: „Seid geduldig in Trübsal!“ Sei geduldig mit dir selbst im Moment. Auch mit deinen Zweifeln und deinem angefochtenen Glauben. All das ist in der Trübsal, die jetzt da ist, kein Wunder. Halte es aus, dass du jetzt bist, wie du bist. Halte dich mit deinem kleinen, angegriffenen Glauben aus. Hab Geduld auch mit ihm! Wirf ihn nicht gleich über Bord, weil so vieles dagegenzusprechen scheint. Nimm ihn behutsam und geduldig in deine Hände und bring ihn hier unters Kreuz. An den Ort, an dem alle Anfechtungen und Widersprüche dieser Welt zusammenkommen. An den Ort schlimmster Gewalt, der gegen alles zu sprechen scheint, was wir glauben und erleben, dass die Liebe das letzte Wort hat. Und nicht der Hass. Nicht die Gewalt. Nicht die Mächte dieser Welt. Hab Geduld mit dir und bring alles hier hin!

Und Geduld wird noch in anderer Hinsicht so wichtig sein. Denn aus diesem Krieg wieder herauszukommen und die Wunden zu lindern, die er schlägt, in der Ukraine vor allem, aber auch anderswo, das braucht Geduld und Zeit. Zerstören ist so leicht. Häuser, menschliche Körper und Seelen, Vertrauen – das kriegt man so schnell verletzt oder zerstört. Wieder aufbauen, lindern, heilen braucht dagegen ganz viel Zeit. Und Kraft. Und Einsatz. Und es wird viele, viele Gespräche brauchen, bevor irgendwann wieder so etwas wie
vertrauensvolle Annäherung möglich ist. Und nach den letzten Wochen ist die Versuchung ja groß, zu sagen: „Reden, das bringt doch nichts! Konnte man doch sehen. Wie viele Staatsmänner und -frauen haben mit Putin geredet und geredet und geredet. Und was hat es gebracht?“ Ich
verstehe diesen Gedanken gut und habe ihn auch in mir. Aber ich will mich ihm nicht hingeben, sondern ihm geduldig widerstehen. Ich will nicht, dass er die Oberhand gewinnt. Weil ich fest davon überzeugt bin: Frieden wird es nur geben durch Reden, Reden, Reden. Und ich bewundere alle, die sich in den letzten Wochen da nicht frustriert zurückgezogen haben. Sondern es beharrlich und geduldig weiter versucht haben, auch wenn es am Ende nicht gefruchtet hat. Und es wieder und wieder versuchen werden, sobald sich die Möglichkeit dazu ergibt. Lasst uns ihnen mit einer zähen Hoffnung zur Seite stehen. Lasst uns ihnen geduldig stärken. In friedlichen, ruhigen Zeiten geduldig zu sein, ist nicht so schwer. In Trübsal geduldig zu bleiben, ist ganz was anderes. Aber genau das wird unsere Aufgabe als Christinnen und Christen sein.

Pfarrer Jo Römelt

„Seid fröhlich in Hoffnung.“ Was macht Hoffnung in diesen Tagen? Es sind wieder mal ganz normale Menschen. Die Menschen in Moskau und vierzig weiteren russischen Städten, die gegen diesen Krieg demonstrieren. Auch wenn sie sofort von der Polizei bedrängt und verhaftet werden. Die Menschen in Polen und Rumänien, die sich sofort an die Arbeit machen, die ankommenden Geflüchteten zu versorgen. Ja, es ist nicht leicht mit der Hoffnung in diesen Tagen. Aber wenn ich diese Menschen sehe, denke ich: ich habe kein Recht auf Hoffnungslosigkeit. Ich darf und ich will mir diesen Luxus nicht gönnen, schon gar nicht als einer, der es warm und friedlich hat und keine Bomben befürchten muss. Und da möchte ich die Worte des 12. Römerverses mischen: Lasst uns beharrlich in unserer Hoffnung sein. Geduldig weiter beten. Für die Menschen spenden, die jetzt gerade alles verlieren. Und für die, die ihnen helfen. Und lasst uns selber ein Werkzeug des Friedens werden in unserem kleinen Leben und Umfeld. Keine Lügen verbreiten, sondern nach der Wahrheit fragen, so gut es geht. Uns gut informieren. Ein offenes Ohr haben für alle, denen dieser Krieg zutiefst Angst macht. Nicht mitmachen, wenn andere dämonisiert werden. Auch einen Wladimir Putin nicht dämonisieren. Auch jetzt noch nach den Sicherheitsinteressen fragen, die er und sein Land auch und berechtigt hat. Nur so kann man den „Frieden suchen und ihm nachjagen“, wie es so wunderbar heißt.

Zum Schluss möchte ich Euch Worte mitgeben, die mein Kollege Christian Menge gestern auf Facebook gefunden hat: „Wenn wir einen Raum für den Zorn gefunden haben und für Entsetzen und Sprachlosigkeit: In einer Kirche. Im Web.
Im Gebet. Im Gespräch mit Freunden Dann sollten wir genauer hinsehen: Berichte lesen. Erfahrungen von Menschen, die gerade quer durch die Ukraine flüchten. Und gute Analysen. Eine Stunde, vielleicht zwei. Um zu verstehen, soweit das geht. Und um zu wissen, ob wir … im Westen auch praktisch helfen können. Doch dann sollten wir anderes tun: Durch den Nebel laufen und durch die Sonne. Bäume im Garten schneiden oder so. Und was Gutes kochen. Auf jeden Fall: leben.“

Auch wenn es vielleicht im ersten Moment schwer vorstellbar klingt, bei allem, was gerade geschieht: Das ist so wichtig! Lebt – trotz allem! Tut Euch Gutes, gerade jetzt. Und freut Euch daran. Denn wo sollen Beharrlichkeit und Geduld herkommen, wenn nicht von Gott und von dem, was er uns schenkt? Deswegen tut etwas Schönes heute Nachmittag. Um dann betet und hofft mit frischer Kraft. Vielleicht ist auch das gemeint, wenn es gleich zu Beginn des Römerverses heißt: „Seid fröhlich – in Hoffnung.“

Amen.

Joachim Römelt

Screenshot Gottesdienst 27.2. YouTube Ev. Dorp