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Gustav Koppel ist heute noch Vorbild.
Einer von vier Solinger Ehrenbürgern ist der jüdische Fabrikant, der von 1830 bis 1914 lebte.
Foto: Gebäude der Coppel Stiftung Solingen
Gustav Coppel und der Code Civil
Um 1800 herum war Deutschland ein rückständiges Land, in Preußen herrschte noch die „Leibeigenschaft“, die Bauern waren auf Gedeih und Verderb ihren Gutsherren ausgeliefert. Die Juden, darunter auch Gustav Coppels Vorfahren, hatten nur ein beschränktes Aufenthaltsrecht im Herzogtum Jülich-Berg und mussten dafür Geld zahlen.
Man nannte sie Schutzjuden. Das änderte sich erst, als Napoleon Bonaparte in den Tochterrepubliken des Rheinbundes den Code Civil, das französische Recht einführte, das von der Rechtsgleichheit aller Bürger ausgeht. Nach der Niederlage Napoleons hob Preußen die Gleichstellung teilweise wieder auf. Aber in der Rheinprovinz blieb der Code Cicil in Kraft, man behielt die Gleichstellung bei. Ohne den Einfluss des Code Civil hätte Gustav Coppel niemals Fabrikant werden können und erst recht nicht jahrzehntelanger Stadtverordneter und ehrenamtlicher Beigeordneter.
Gibt es (nicht) auch heute noch Kräfte, die das Recht einzelner Bevölkerungsgruppen (wieder) einschränken wollen oder einfach unterlaufen?
Gustav Coppel und Made in Germany
Bis zu Napoleon organisierten in deutschen Städten Gilden und Zünfte, das waren Vereinigungen von Kaufleuten und Handwerkern, die wesentliche Teile von Handeln und Gewerbe kontrollierten und damit letztlich die Industrialisierung sowie den Bau von Fabriken behinderten.
Napoleon schaffte die Zünfte in Deutschland ab. Daher waren Coppels Vorfahren in der Lage, aus einer kleinen Handelsvertretung eine Firma aufzubauen.
Gustav Coppel lernte in seiner Jugend handwerklich Scheren herzustellen und auch alles Kaufmännische, um die Firma seines Vaters weiterzuführen.
Im 19. Jahrhunderts kamen minderwertige deutsche Plagiatswaren auf den Weltmarkt, sodass das britische Parlament 1887 ein Gesetz zur Kennzeichnung der Herkunftsländer von Importware verabschiedete; so entstand die Marke „Made in Germany“. Sie sollte nicht mit der höherwertigen Ware aus England verwechselt werden. Das englische Sheffield war und blieb das Zentrum der internationalen Schneidwarenindustrie.
Gustav Coppel gehörte zu den Pionieren, die dies änderten. Er bestellte seinen Stahl nicht bei Krupp, sondern höherwertigen Stahl in England. Er wollte Qualitätswaren herstellen.
Qualitätspionieren wie Coppel verdanken wir unseren heutigen Wohlstand.
Gustav Coppel stellte außer Stahlrohren für Fahrräder in größeren Stückzahlen Waffen her, sogenannte Seitengewehre oder Bajonette, die auf Gewehre geschnallt und im Nahkampf eingesetzt wurden.
Gustav Coppel und die Streiks
Wie kann man gleichzeitig Arbeitgeber und Streikschlichter sein und dazu noch das Vertrauen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer besitzen? Gustav Coppel besaß das Verantwortungsbewusstsein und das Vermittlungsgeschick diese Doppelrolle einzunehmen.
In Solingen wurde eine der ersten Vergleichskammern gegründet, die Streiks verhindern und zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vermitteln sollte. Diese Kammer war paritätisch mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzt. Gustav Coppel war 35 Jahre lang deren Vorsitzender. Dieses auf Konsens beruhende Modell bestand über Jahrzehnte mit großem Erfolg. Leider wurde das Solinger Modell um 1910 von dem immer größer werdenden überregionalen Arbeitgeberverband mit seiner „Herr im Haus“-Mentalität geschluckt … und aktuell sehen wir, wie eine gut funktionierende soziale Marktwirtschaft mit Tariflöhnen von den Märkten verdrängt wird und Arbeitgeber durch Leiharbeitsverträge und Scheinselbstständigkeiten eine gerechte Bezahlung verwehren.
Gustav Coppel und das Soziale
Versteht es sich fast von selbst, dass Gustav Coppel auch der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde war? Wäre ohne seinen Glauben sein Einsatz für das Wohl anderer Menschen in diesem Umfang erfolgt? Zeitgenossen bescheinigen Gustav Coppel eine tiefe Religiosität und er sei reich an Geistes- und Herzensgaben gewesen.
Er unterstützte wesentlich den Bau der Synagoge und die Errichtung einer „Fortbildungsschule für Arbeiter“, den Vorläufer der heutigen gewerblich-technischen Berufsschulen in Solingen.
Gustav Coppel und das städtische Ehrenamt
Er hat jahrzehntelang als Stadtverordneter und Beigeordneter ehrenamtliche Arbeit investiert, genauso wie es die vielen Bürger heute tun, die im Stadtrat und in den Bezirksvertretungen ihren Dienst leisten.
Ein politischer Gegner schrieb 1914 als Nachruf in der sozialdemokratischen Zeitung „Bergische Arbeiterstimme“:
„Der Großindustrielle Gustav Koppel gehört zu den wenigen Kapitalisten, die sich in der modernen Hetzjagd nach dem Profit ihren persönlichen Charakter und ihren freien Blick über das Hauptbuch ihres Geschäftes hinaus bewahrt haben …“
Wenn Sie mehr wissen möchten:
Wilhelm Bramann: Coppel – Geschichte einer jüdischen Familie in Solingen. 1770–1942, Solingen, 2. Auflage 2012
Wilhelm Bramann: Familie Coppel – dem Gemeinwohl verpflichtet, in: „… daß ich die Stätte des Glückes vor meinem Tode verlassen müßte“. Beiträge zur Geschichte jüdischen Lebens in Solingen, hrsg. v. Manfred Krause / Solinger Geschichtswerkstatt, Solingen 2000, Seite 89-93
Bilder vom jüdischen Friedhof Solingen
Rolf Uthemann
Rolf Uthemann / Stadtarchiv Solingen