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Mein Jahr in Istanbul.
Für Pastorin Dr. Stefanie Bluth endet in in Kürze die Tätigkeit in der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei.
Die Pastorin der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) war in der Corona-Zeit im Rahmen ihrer pastoralen Ausbildung Vikarin in der Solinger Gemeinde Dorp. Für die „Dorper InnenAnsichten“ wirft die in Remscheid lebende Stefanie Bluth einen Blick auf ihre Zeit in der Türkei, wenige Tage vor ihrer Abreise nach Deutschland.
Von Stefanie Bluth, Istanbul
Im Oktober 2022 war es so weit. Noch etwas müde vom Zweiten Theologischen Examen bin ich mit drei dicken Koffern nach Istanbul geflogen, um dort für ein Jahr an der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei zu arbeiten. Über AirBnB hatte ich mir zuvor eine schöne kleine Wohnung im zentral gelegenen Stadtteil Beyoğlu in der Nähe des Galataturms gemietet. In den ersten Wochen und Monaten war ich wie verzaubert von diesem wunderschönen Ort in der Nähe des „Goldenen Horns“.
Auch in der Gemeinde und in der deutschsprachen ökumenischen Gemeinschaft wurde ich sehr herzlich aufgenommen. Meine dienstlichen Aufgaben lagen u.a. darin, regelmäßig Gottesdienste in der evangelischen Kreuzkirche zu gestalten, Religionsunterricht am Alman Lisesi – dem Deutschen Gymnasium – zu erteilen und unterschiedliche ökumenische Beziehungen zu pflegen.
Besonders aufregend war mein erster eigener Gottesdienst, welcher der Reformationstags-Gottesdienst war und zu dem sogar der deutsche Generalkonsul kam. Gottesdienste in der Kreuzkirche folgen einer klassisch unierten Liturgie, weshalb ich mich schnell zurechtfand. Das Kirchgebäude stammt aus der Zeit, als Istanbul noch Konstantinopel hieß und ist auch für Touristen einen Besuch wert.
Der Religionsunterricht hat mir besonders Spaß gemacht. Meine Schüler*innen sind mir im letzten Jahr sehr ans Herz gewachsen. Durch die Tatsache, dass es eine kleine Gruppe von vier Jugendlichen war, war ein außergewöhnlich intensives Arbeiten möglich. Auch mit ihren Familien gab es einen familiären Kontakt. Ganz besonders bei festlichen Anlässen wie St. Martin, Advent, Weihnachten und Ostern waren meine Schüler*innen und ihre Familien auch in das Gemeindeleben eingebunden.
Die ökumenischen Begegnungen waren tatsächlich die eindrücklichsten und sie werden noch lange nachklingen. In Deutschland wird die Türkei in erster Linie als muslimisches Land wahrgenommen. Dabei sind hier auch die Spuren des antiken und auch mittelalterlichen Christentums sehr deutlich zu spüren. Im Alltag funktioniert die Ökumene in Istanbul sehr harmonisch. Es gibt beispielsweise ein ökumenisches Flüchtlingsprojekt, an dem unterschiedliche Gemeinden zusammenarbeiten.
Diese Begegnung außerhalb unser christlich-ökumenischen Bubble haben mich sehr bereichert: nicht nur, weil es viel Spaß gemacht hat, mit diesen Leuten Zeit zu verbringen. Wenn ich jetzt von den politischen Verhältnissen in dieser Welt lese, habe ich Gesichter und Menschen vor Augen. Meine Perspektive auf die Welt außerhalb Europas hat sich verändert. Viele Schicksale an seinen Grenzen sind mir jetzt näher.
Über die Sommermonate bin ich immer wieder für ein paar Tage in unterschiedliche Städte der Türkei gereist. So war ich auch in anderen Großstädten wie Ankara und Izmir. Im Winter war ich auf dem Berg Uludağ in Bursa. Als meine Tante aus England zu Besuch kam, sind wir nach Çanakkale gefahren, wo sich die Ausgrabungsstätte des historischen Trojas befindet. Ich war im kurdisch geprägten Diyarbakır und in Mardin. In Kappadokien habe ich eine Ballonfahrt gemacht, was besonders bezaubernd war. Ich habe Trabzon an der östlichen Schwarzmeerküste besucht, von wo aus ich sogar einen Ausflug in das georgische Batumi gemacht habe.
Neben der Gemeindearbeit hatte ich außerdem Gelegenheit einen Türkischkurs der İstanbul Üniversitesi zu besuchen, was den interessanten Nebeneffekt hatte, dass ich auch viele junge Nicht-Christen kennen gelernt habe. Viele von ihnen kommen vornehmlich aus dem außereuropäischen Ausland. Viele sehr berührende Lebensgeschichten sind mir dort begegnet, wie die des jungen Russen Alexejs, der vor der russischen Mobilmachung im Ukrainekrieg geflohen ist. Oder Aisha aus Äthiopien, die nach einem tragischen Gasunfall in Istanbul medizinische Behandlung in Anspruch nahm. Oder die der vielen jungen Iranerinnen, die sich nach der Flucht vor ihrem Regime in Istanbul ein neues Leben aufbauen.
Die Reisen haben nicht nur meinen Blick auf Türkei verfeinert, sondern mich auch gezwungen, mich selbst immer außerhalb meiner Komfortzone zu bewegen und mich alleine in einer anderen Kultur zurechtzufinden. Am glücklichsten machen mich die Freundschaften, die ich in der Zeit geschlossen habe und am traurigsten macht mich, die Freundschaften zurücklassen zu müssen. Es wird noch etwas Zeit brauchen, all diese Eindrücke zu verarbeiten.
Stefanie Bluth
Stefanie Bluth