"Ein künstlich gemachtes Thier.“

Andrea Enders hat sich die Dorper Orgel von innen angeschaut und von Annegret Pallasch erklären lassen.

Ein Essay von Andrea Anders

„Ein künstlich gemachtes Thier, welches durch Hülff der Luft und mänschlicher Hände gleichsam rede, klinge, singe“

schrieb der Kirchenmusiker Michael Praetorius vor 400 Jahren. Ein künstlich hergestelltes Tier, das mit Hilfe der Luft und menschlicher Hände redet, klingt, singt? Das Luft holt wie wir, einatmet und ausatmet? Dann muss es eine Lunge haben und eine Luftröhre und Stimmlippen, ein richtiges Atem-Organ. Und das hat sie auch – die Orgel. Ihr Name stammt wie unser Wort „Organ“ vom griechischen Wort „organon“ ab, das so viel wie „Werkzeug“ oder „Instrument“ bedeutet.

Solch ein „künstlich gemachtes Tier“ mit Atem-Organ möchte ich mir anschauen und verabrede mich dazu mit Annegret Pallasch. Sie ist studierte Kirchenmusikerin und arbeitet als nebenamtliche Kantorin in der Dorper Gemeinde. In der Dorper Kirche steht es, das „künstlich gemachte Thier“. Als ich die Kirche betrete, umweht mich der Orgelklang und ich bewege mich durch ihn hindurch hinauf auf die Empore. Dort sitzt Annegret Pallasch am Spieltisch. Der Spieltisch sieht aus wie ein Klavier, aber mit zwei Tastenreihen übereinander, Manuale genannt, mit Fußpedalen und vielen Knöpfen und Schaltern rechts und links neben den Tastaturen.

Kantorin Annegret Pallasch (li.) und die Autorin

Und dann sind da noch die Pfeifen schräg hinter dem Spieltisch. Für jeden Ton gibt es eine eigene Pfeife. Je nachdem wie groß sie sind und ob sie aus Metall oder Holz gefertigt wurden, erzeugen sie einen ganz eigenen Ton. Pfeifen gleicher Bauart werden zu einem Register zusammengefasst. Ein Register wird oft nach seinem Klang benannt, zum Beispiel das Register Trompete oder das Register Blockflöte.

Wie können die schmalen weißen und schwarzen Tasten diese vielen kleinen und großen Pfeifen zum Klingen bringen?
„Das macht die mechanische Steuerung“, erklärt Annegret Pallasch. Drückt sie eine Taste, dann öffnet sich durch eine mechanische Steuerung ein Ventil und Luft strömt in eine Pfeife. Die Knöpfe rechts und links heißen Registerzüge. Ein Register ist eine Reihe von Pfeifen jeweils gleicher Bauart und Klangfarbe. Wenn sie ein Register auswählt, erklingt durch Tastendruck eine Pfeife. Wenn Annegret Pallasch mehrere Register auswählt, erklingen durch einen Tastendruck gleich mehrere Töne. Die Klangfarben, die eine Orgel ausmachen, ergeben sich aus der Zusammenstellung der Register.

Wie die Orgelpfeifen der Größe nach - hier sind sie es tatsächlich

Wo sind denn nun die vielen Pfeifen? Von vorne ist nur eine lange Reihe großer Metallpfeifen zu sehen. Das kann doch nicht alles sein??
Annegret Pallasch öffnet eine Tür und klettert in die Orgel. Das ist wirklich spannend. Wir sind jetzt mitten drin in dem Atem-Organ. Hier sind überall Pfeifen aus Holz und aus Metall, winzig klein und riesengroß. Sie haben am unteren Ende eine Öffnung, das ist der Mund mit Oberlippe und Unterlippe. Es gibt auch Pfeifen mit Zungen. Hier wird die Luftsäule in der Pfeife in Schwingung gebracht und der Ton entsteht.

Ein Blick aus der Orgel in den Kirchenraum

Und die Luftröhre, die Lunge, wo sind die?
Dicke Luftschläuche, vergleichbar unserer Luftröhre, und elektrische Kabel führen unter die Pfeifen zu den Windladen, der Lunge. Hier wird die Luft in die Pfeifen verteilt.

Aber woher kommt die Atemluft, der Wind?
Dazu klettern wir wieder aus der Orgel heraus und öffnen eine Türe im Treppenhaus neben der Empore. Hier steht das elektrische Gebläse. Es drückt den Wind durch die Luftschläuche in die Windladen unter den Pfeifen.

Wie ist es, an der Orgel zu sitzen und ihrem Atem nachzuspüren?
Annegret Pallasch hat eine sehr persönliche Antwort: „Wenn ich die Orgel spiele, werde ich von ihrer Atemluft umfangen. Ihre Töne füllen den gesamten Kirchraum aus. So umfängt mich auch der Atem Gottes, sein Wort füllt alles aus, mein ganzes Leben.“

Der Beitrag erschien zuerst im Gemeindebrief „leben und erleben“ Nr. 3-22, S. 9. Am 10. September war der „Tag der Orgel“.

Fakten & Infos zur Dorper Orgel:
Die erste Orgel wurde in Folge des 2. Weltkriegs zerstört.
1954 wurde die heutige Orgel von der Firma Weyland erstellt; 1979 und 1989 wurde sie erweitert.
2005 bis 2007, während der Renovierung der Dorper Kirche, war die Orgel ausgebaut.
2012 musste sie wegen Schäden in der Elektrik stillgelegt werden.
Am 4.9.2016 ließ sie nach umfangreichen Renovierungsarbeiten durch die Fachfirma Orgelbau Merten in Remagen in einem Festgottesdienst ihre Stimme wieder erklingen.

Mehr zur Renovierung der Dorper Orgel auf der Projektseite von Orgelbau Merten

Hier entweicht der Atem und damit der Ton aus dem "künstlich gemachten Tier"

Andrea Enders

Andrea Enders, Marcus Nicolini, Gemeinde Dorp