Und ich sah eine neue Erde.

Gedanken zum Schöpfungstag 2022 am 4. September von Pfarrer Jo Römelt.

Wenn man Astronauten fragt, was sie im All am stärksten beeindruckt hat, dann sagen sie oft: „Der Anblick der Erde vom Weltall aus.“ Thomas Reiter sagt zum Beispiel: „Von oben sieht man die Erde als Einheit. Man spürt, wie wertvoll dieser Ort in der unendlichen Weite des Weltalls ist. Hier unten auf der Oberfläche sieht man ja nur bis zum Horizont. Dort oben wird einem sehr schnell klar, dass dieser Planet unser einziges Zuhause ist.“ Und fast alle Astronauten sagen sinngemäß: „Wie verrückt sind wir eigentlich, dass wir uns auf diesem wunderschönen Planeten bekriegen, anstatt alles zu tun, um diese Oase zu erhalten.“

Vielleicht müssen wir ja nicht unbedingt alle mal ins Weltall fliegen, um diesen Blick auf unseren Planeten zu bekommen. Und um zu verstehen, was für ein Wunder diese Erde ist. Was für ein Wunder das Leben ist. Das sich von der ersten Zelle bis zu so unfassbar wunderbaren Wesen wie Frieda entwickelt hat! Was sich schon in so einem kleinen Menschen an Prozessen abspielt, körperlich und seelisch, ist unbegreiflich. Da können wir nur ehrfürchtig staunen.

Ich glaube, diesen anderen Blick brauchen wir so dringend. Weltweit. Wir haben gelernt, diese Erde als unseren Besitz zu betrachten. Als Material, das nur darauf wartet, von uns verarbeitet und verbraucht zu werden. Wie gut wäre es, wenn wir wieder lernen würden, was der 24. Psalm sagt: „Die Erde gehört Gott. Sie ist Geschöpf und gehört ihrem Schöpfer.“ Und unser Auftrag ist es nicht mehr, sie „uns untertan zu machen“. Das haben wir reichlich. Und das ist gesagt worden in einer Zeit, in der es sehr wenige Menschen gab. Die der Natur noch hilflos ausgeliefert waren. Unser Auftrag heute ist es, diese Erde nicht nur „zu bebauen“, sondern vor allem „zu bewahren“.

Wie weit wir davon entfernt sind, brauche ich Euch nicht zu erzählen. Das wisst Ihr alle. Und das haben wir in diesem Sommer noch mal ganz nah vor Augen. Wenn in Flussbetten plötzlich alte Schiffe und Hungersteine auftauchen. Wenn es Mitte August auf dem Pfaffenberger Weg aussieht wie mitten im Herbst. Vielleicht habt Ihr am Montag die ARD-Doku über „unser Wasser“ gesehen. Da wird einem schon anders. Und wer hätte vor ein paar Jahren noch gedacht, dass wir uns in Solingen mal mit ganzem Herzen nach Regen sehnen?

Gerade jetzt ist es wichtig, die Hoffnung nicht zu verlieren und zuversichtlich zu bleiben.

Und da können wir nicht einfach sagen: „Wieso hat Gott das nicht verhindert? Wie konnte er das zulassen?“ Gott können wir dafür wahrlich nicht verantwortlich machen. Der hat uns schon vor über fünfzig Jahren Propheten geschickt. In Gestalt von Wissenschaftlern, die damals schon vor all dem gewarnt haben, was wir jetzt weltweit erleben. Wir haben das gerne ignoriert, denn noch fiel ja der Schnee im Winter und Regen gabs im Bergischen gefühlt viel zu viel. Und die Erdölindustrie hat sich einfach andere Propheten gekauft, die laut und deutlich verkündet haben, dass das mit dem menschengemachten Klimawandel ja alles so nicht stimmen würde. Nein, wir erleben jetzt einfach, was der Apostel Paulus mal kurz und knapp so ausdrückt: „Was der Mensch sät, das wird er ernten!“

Jetzt wissen wir das alles. Und wenn wir ein fühlendes Herz haben, setzt uns das ganz schön zu. Ich denke zugleich: gerade jetzt ist es so wichtig, nicht in Ängsten zu versinken. Und sich von ihnen lähmen zu lassen. Gerade jetzt ist es wichtig, die Hoffnung nicht zu verlieren und zuversichtlich zu bleiben. Wir können uns Hoffnungslosigkeit um Fridas und Smillas und aller Kinder willen einfach nicht leisten. Und noch gibt es die Chance, das Schlimmste zu verhindern. Die Chance, dass „der Weltuntergang ausfällt“, wie der Blogger Jan Hegenberg sein Buch zum Thema fröhlich überschreibt. Also: Was hilft uns, in dieser Zeit nicht den Mut zu verlieren, sondern Zuversicht zu gewinnen? Ich habe da keine fertigen Lösungen, aber vielleicht ein paar Impulse.

Pfarrer Joachim Römelt

In seinem Lied „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ schreibt der Dichter Georg Neumark eine wunderbare Strophe. Die lautet: „Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verricht das Deine nur getreu und trau des Himmels reichem Segen, so wird er bei dir werden neu.“ Es macht Mut, wenn wir die ganze Entwicklung nicht tatenlos und starr vom Sofa aus verfolgen. Sondern fragen: „Was kann ich selber tun? Was ist das Meine, das ich verrichten kann?“ Selber etwas tun nimmt die Ängste und Ohnmachtsgefühle nicht komplett weg. Aber es kann ihnen etwas von ihrer Macht nehmen. Dass wir uns nochmal neu fragen: Was brauche ich wirklich? Wieviel Fleisch, wieviel PS, wieviel Reisekilometer, wie viele neue Sachen? Und dabei vielleicht neu entdecken, dass viel weniger nötig ist als wir gedacht hätten. Und dass weniger Konsum oder Netflix-Serien in SD-Qualität das Leben nicht gleich karg oder freudlos machen. Und wenn Ihr jetzt denkt: „Ach, jetzt kommt er auch noch mit runtergedrehten Heizungen und kurzen Duschzeiten und Waschlappen und so. Jetzt verlangt der auch noch, dass wir persönlich die Welt retten!“ Dann kann ich nur sagen: „Nein! Genau das nicht! Wir müssen nicht die Welt retten. Weder als Einzelne noch als Bundesrepublik Deutschland. Das können wir auch überhaupt nicht. Selbst wenn wir alle komplett aufs Fliegen, auf Fleisch und was weiß ich was verzichten, kommen wir nie auf den persönlichen Fußabdruck, der nötig wäre. Weil wir in Systemen leben, die noch viel zu klimaschädlich sind. Da sind die Politik und die Wirtschaft gefragt. Und gerade aus der Wirtschaft kommt immer häufiger das Signal: „Wir wollen die Klimaneutralität angehen. Politik, gib uns die Rahmenbedingungen dazu!“ Aber auch politisch geht’s nicht darum, dass Deutschland die Welt zu rettet, wie gerne in Diskussionen behauptet wird. Können wir gar nicht. Es geht darum, das Unsere getreu zu tun! Unseren Beitrag zu leisten. Umzusetzen, was unser Land zusammen mit Hunderten anderen bei der Klimakonferenz in Paris versprochen hat. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und das zu machen, tut nicht nur dem Klima gut. Sondern auch unserer eigenen Seele. Am meisten übrigens, wenn wir das mit anderen gemeinsam tun. Es gibt kaum etwas, was so tröstet und stärkt wie die Gemeinschaft mit anderen. Das Teilen von Sorgen und Hoffnungen. Das gemeinsame Tun. Sucht Euch Menschen, mit denen Ihr gemeinsam überlegt: Was ist das Unsere? Was können wir persönlich noch machen?

Aber ein Blick in jedes Kindergesicht wird uns sagen: „Das lohnt sich! Und das ist aller Mühe wert! Und Gott hat diese Welt schon gar nicht aufgegeben.“

Und dann ist es wichtig, eine gute und hoffnungsvolle Vision zu entwickeln. Im Moment sind unsere Zukunftsvisionen oft so düster und bedrückend. Und das natürlich nicht ohne Grund. Wir brauchen den ehrlichen Blick auf das, was uns erwartet. Wir brauchen aber auch Bilder der Hoffnung, die uns zeigen, was werden könnte. Die Bibel ist voll von solchen Hoffnungsbildern. Der Prophet Jesaja spricht von einem „neuen Himmel und einer neuen Erde“ über die sich die Menschen von Herzen freuen können. Einen neuen Himmel brauchen wir nicht, der ist verlässlich für uns offen. Und gerade mit Jesus schon komplett nahegekommen. Gott liebt Frieda und uns heute nicht weniger als zu Beginn des Klimawandels. Aber eine Erde, auf der vieles neu wird – die brauchen wir. Und die sollten wir uns vor Augen stellen. Stellt Euch vor, die Energiewende ist in zwanzig Jahren wirklich geschafft. Keine Kilowattstunde wird mehr aus Öl, Kohle oder Gas gewonnen. Solarzellen, Windräder und Wellenkraftwerke sind so weiterentwickelt worden, dass sie viel mehr Energie erzeugen als die heutigen. Autobahnen und Ikea-Parkplätze sind mit Solarmodulen überdacht. Man muss keine Paneele mehr auf Dächer installieren, weil die Dachpfannen selbst Solaranlagen sind. Ihr könnt Euch ohne Bedenken hin und wieder in ein Flugzeug setzen, weil die alle mit grünem Wasserstoff unterwegs sind. Euer Haus stammt aus dem 3-D-Drucker – mit Materialien, die kaum Emissionen mehr erzeugen. Joghurtbecher und Shampooflaschen werft Ihr einfach auf den Kompost, wo sie innerhalb von zwei Wochen verrotten. Das vegane Steak ist von einem echten nicht mehr zu unterscheiden. Hausfassaden und Plätze sind begrünt und kühlen die Städte. Und die Luft ist in einem Zustand, den Ihr Euch heute gar nicht vorstellen könnt. Und all das nicht nur in Solingen, sondern global, weil nach und nach immer mehr Länder erkannt haben, dass da das wirtschaftliche Erfolgsmodell der Zukunft liegt. Ich weiß, da sind wir noch lange nicht. Da gibt’s noch jede Menge Hindernisse, die zu überwinden sind. Aber die gute Nachricht ist: all diese Möglichkeiten gibt es schon jetzt! Unzählige Menschen weltweit arbeiten in einem irren Tempo an Lösungen und technologischen Erneuerungen. Wenn Ihr darüber lest, raucht Euch schnell der Kopf, weil es so viele großartige Ideen gibt, die schon entwickelt sind oder gerade entwickelt werden. Sie brauchen politische Förderung und Unterstützung. Da ist noch viel zu tun. Aber es tut gut, sich das einfach mal vor Augen zu führen: so vieles Kluges und Gutes wird oder ist schon erdacht. Und wenn ich mir Frieda oder ein anderes Kind anschaue, kann ich nur sagen: „Es lohnt sich volle Pulle, diesen Weg zu gehen! Um unserer Kinder und Enkel und Urenkelinnen willen. Denn wir haben die Erde von ihnen nur geborgt. Und wir brauchen ihre Lebendigkeit, ihre Lebensfreude, ihre unbändige Kraft, zu wachsen und zu gedeihen. Um diese Aufgabe zu stemmen. Aber ein Blick in jedes Kindergesicht wird uns sagen: „Das lohnt sich! Und das ist aller Mühe wert! Und Gott hat diese Welt schon gar nicht aufgegeben.“

Jetzt könnte jemand sagen: „Das klingt ja alles sehr schön. Danke, dass Du uns da so ermutigen willst! Aber wir haben trotzdem so oft das tiefe Gefühl: das schaffen wir nicht mehr. Es ist zu spät … Corona und Krieg bremsen alle positiven Ansätze … Und wir Menschen kriegen es einfach nicht hin … Es reicht hinten und vorne nicht.“ Ich kann das gut verstehen. Auch ich spüre manchmal eine tiefe Hoffnungslosigkeit. Die ich mir eigentlich gar nicht erlauben will. Aber trotzdem ist sie manchmal da. Auch letztens war das noch so. Irgendwann aber kam der Gedanke in meinen Kopf: „Was ist eigentlich mit Deinem Glauben? Den hast Du doch noch, oder?“ Nur diese eine Frage. Erst habe ich gedacht: „Ja, ich glaube an Gott. Aber was hilft das jetzt? Gott wird uns das nicht einfach abnehmen.“ Das glaube ich auch nach wie vor: Gott wird nicht einfach per Machtwort oder Fingerschnippen unsere Klimaprobleme lösen. Aber plötzlich war der Gedanke da: „Wenn Du an Gott glaubst, dann darfst Du zumindest glauben und hoffen, dass mehr möglich ist, als Du in diesem trüben Moment gerade denkst und fühlst. Es ist mehr möglich, als Du es jetzt gerade siehst! Erlaube Dir Hoffnung! Erlaube Dir, das ernst zu nehmen: „und trau des Himmels reichem Segen, so wird er bei dir werden neu!“ Ich kann Euch nicht sagen, wie das gehen könnte. Wie gesagt, Gott wird nicht so mal eben von oben alles regeln. Aber ich darf darauf vertrauen, dass er da sein wird. Nicht, indem er die Probleme wegzaubert. Aber vielleicht, indem er uns noch mehr ermutigt und stärkt. Die Kraft gibt, last minute das Richtige zu tun. Uns spüren lässt, dass wir auch auf diesem Weg nicht allein sind. Auch wenn es naiv klingen mag: Ich will mich gerade in diesen Zeiten an die siebte Strophe von Georg Neumark halten: „Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verricht das Deine nur getreu und trau des Himmels reichem Segen, so wird er bei dir werden neu. Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht!“

Amen!

Jo Römelt

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