„Schreib für Freiheit“ zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember.

Zwei Wochen noch läuft der Amnesty-Briefmarathon, sagt der Solinger Helmut Eckermann. Und Pfarrer Jo Römelt sagt, warum Menschenwürde unantastbar ist.

Wenn Hunderttausende Menschen weltweit Mails, Faxe und Briefe an Regierungen schreiben, in denen für zu Unrecht inhaftierte, gewaltlose politische Gefangene die Einhaltung der Menschenrechte und die Freilassung gefordert wird, lässt sich das nicht ignorieren. Das ist die Idee hinter der Aktion der Menschenrechtsorganisation Amnesty International anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte am 10. Dezember. Auf diese Mitmachmöglichkeit weist der auf der Burger Landstraße lebende Menschenrechtsaktivist Helmut Eckermann von Amnesty Solingen hin. Die Ortsgruppe besteht seit 50 Jahren und trifft sich jeden ersten Mittwoch im Monat um 19.30 Uhr bei der Lebenshilfe im Südpark. Mehr zum Briefmarathon hier auf der Seite von Amnesty: https://www.amnesty.de/schreib-fuer-freiheit-amnesty-briefmarathon-2022

Helmut Eckermann von amnesty Solingen

Der Internationale Tag der Menschenrechte erinnert an die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 1948 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen. Sie schreibt das Recht auf Leben, auf Religionsfreiheit, die Gleichheit vor dem Gesetz, Versammlungsfreiheit und das Recht auf Freiheit von Folter und Sklaverei fest. Diese Rechte stehen allen Menschen von Geburt an uneingeschränkt zu. Traditionell beleuchten Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty an diesem Tag die weltweite Situation der Menschenrechte und zeigen auf, wo sie verletzt werden.

In Solingen macht der Pfad der Menschenrechte auf der Korkenziehertrasse zwischen Schulzentrum Vogelsang und Bernd-Kurzrock-Sportanlage in Wald mit seinen 13 Edelstahltafeln seit 2012 auf die 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aufmerksam.

Menschenwürde – Von Jo Römelt

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So beginnt unser Grundgesetz. Dass es so beginnt, ist für mich einer der besten Gründe, in diesem Land zu leben. Wenn man in der Bibel nachliest, dann findet man ein hebräisches Wort, das unserem deutschen Wort „Würde“ sehr nahe kommt: nämlich das Wort kabod. Kabod bedeutet einerseits so viel wie Glanz, und auf der anderen Seite bedeutet es Gewicht, Schwere. Eine Würde zu haben, bedeutet also, dass Glanz über unserem Leben liegt und dass wir Gewicht haben in dieser Welt, Bedeutung, Wert.

Diesen Glanz und diese Bedeutung haben wir nicht etwa deshalb, weil wir etwas Bestimmtes können oder leisten. Wenn unsere Würde zum Beispiel darin hinge, dass wir uns in unserer Gesellschaft nützlich machen können – was wäre dann mit denen, die das eben nicht mehr können, durch Krankheit, durch Behinderung, durch Gebrechlichkeit im Alter? Wir sehen einem Menschen den Glanz, den er hat, auch nicht unbedingt an. Bei einem lachenden spielenden Kind fällt es noch leicht, etwas von diesem Glanz unmittelbar zu sehen und zu erspüren. Bei einer kaum noch ansprechbaren dementen Frau im Pflegeheim ist das schon schwieriger. Deswegen ist es so wichtig, sich das klarzumachen: Die Würde eines Menschen liegt nicht in dem, was wir sehen! Sondern sie liegt in dem, was Gott in uns sieht. Unser Leben hat Glanz und Gewicht, weil es unter dem Blick seiner Güte steht, ja, weil es aus dieser Güte heraus überhaupt erst entstanden ist! „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde (!) – und er sah an, was er geschaffen hatte, und siehe, es war sehr gut!“ Das ist die Quelle unserer Würde: dass wir dazu geschaffen sind, Gottes Glanz in dieser Welt zu spiegeln. Dass Gott uns ansieht und sagt: „Siehe, sehr gut!“ Obwohl da vieles oft gar nicht so gut ist. Und weil unsere Würde in Gottes Art liegt, uns ansehen, deshalb ist sie unantastbar.

Die Wirklichkeit sieht völlig anders aus. Da reicht ein Blick in die Zeitung oder in die Informationen, die die Engagierten von amnesty auf ihren Seiten teilen. Die Würde des Menschen wird täglich mit Füßen getreten, tausendfach, millionenfach, auf zum Teil unbeschreibliche Weise. Und man liest das und steht davor und denkt: Wie kann das sein? Wie kann das sein, dass Menschen, die doch eigentlich von Natur aus zu Mitgefühl in der Lage sind, sich so behandeln?

Wie kann es sein, dass Menschen, die an Gott als den Schöpfer und Erhalter und Herrn allen Lebens glauben, dass die sich einen Sprengstoffgürtel um den Bauch schnallen und irgendwo an einem belebten Ort, Kinder, Frauen und Männer in die Luft jagen? Wie kann es sein, dass Menschen anderen durch Folter stundenlang furchtbare Schmerzen zuzufügen, wie es in tausenden Folterkellern jeden Tag geschieht?

Die Antwort ist nicht schwer. Wir sind nicht nur fähig zum Mitgefühl. Sondern wir sind auch in der Lage, das Leid eines anderen Menschen von uns abzuspalten. Wir haben die Fähigkeit, unsere Sicht der Welt zu spalten in Hell und Dunkel, Gut und Böse. Diese Fähigkeit hat ihren Sinn. Wenn alles Leid ungebremst ganz dicht an uns herankäme, würden wir verrückt. Auch unsere Tendenz, Dinge und Menschen in Schubladen zu stecken, ist nicht nur schlecht. Sie hat unseren Ur-Vorfahren geholfen, zu überleben. Wenn die im Urwald unterwegs waren und ein größeres Wesen kam auf sie zu, dann musste blitzschnell eingeordnet werde: ist das ein Bär oder Wolf oder ist das die nette Nachbarin? Gefährlich oder ungefährlich? Da war keine Zeit, lange zu differenzieren. Nur: Wenn wir diese alte Fähigkeit, alles schnell in Schubladen zu stecken, auf unser heutiges Zusammenleben mit anderen Menschen anwenden, oder, schlimmer noch, auf die Weltpolitik, dann wird’s gefährlich. Dann wird die Welt ganz schnell eingeteilt in Gläubige und Ungläubige, in Freunde und Feinde, in Lebenswürdige und angeblich Lebensunwerte. Und aus dieser Spaltung heraus geschieht Furchtbares. Vielleicht kann man sagen: Wo Menschenrecht verletzt wird in dieser Welt, da hat vorher Spaltung stattgefunden. Jeder Krieg, jedes Massaker, jedes Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird so vorbereitet: dass man Menschen zu Unmenschen erklärt und so vom eigenen Mitgefühl abspaltet. Und wenn die Bibel von Sünde redet, ist das vor allem gemeint: diese Trennung, diese Gräben, diese Spaltung in uns Menschen und in unserer Welt.

Wer gegen Verletzung der Menschenwürde arbeiten will, der muss an der Überwindung dieser Spaltung arbeiten. Und zwar zuerst in sich selbst. Und es müsste das Ziel gerade der Religionen sein, an der Überwindung dieser Spaltung zu arbeiten. Leider ist das längst nicht immer so. Religionsvertreter haben in der Vergangenheit bis heute nicht nur mitgeholfen, Gräben zu überwinden. Sondern oft genug dazu beigetragen, sie noch weiter zu vertiefen. Und auch bei uns müssen wir ehrlich eingestehen, dass die Entwicklung eines Bewusstseins für allgemeine Menschenrechte oft nicht durch, sondern eher gegen Vertreter der Kirchen gewachsen ist.

Dabei ist, wie ich meine, das ganze Reden und Handeln Jesu davon geprägt, dass es Spaltung überwindet. Ich höre ihn sagen: „Was Du willst, das Dir die anderen tun, das tu ihnen auch!“ Damit sagt er doch: Bevor Du mit einem Menschen irgendwie umgehst, überwinde erst mal die Grenze, die zwischen Dir und ihm steht. Versetz Dich in seine Lage! Schau, was Du an seiner Stelle brauchen würdest. Und das gib ihm! Schon wenn wir diese schlichte Regel beachten würden, dürfte es keine Folter mehr geben. Aber weiter. Da erzählt er ein Gleichnis, in dem ausgerechnet ein verhasster Samariter, einer von den anderen, ein Feind könnte man sagen, zum Vorbild für Menschlichkeit und Mitgefühl wird. Was für eine Irritation! Und noch weiter. Da sagt er: „Liebt Eure Feinde! Wenn Ihr nur die liebt, die Euch lieben, die zu Euch gehören, was ist da schon Besonderes dran? Das tun alle!“

Pfarrer Jo Römelt

Jesus sagt das nicht nur. Er lebt das selbst. Wenn er am Kreuz für seine Peiniger bittet. Dieser Mann hat nicht nur an der Überwindung der Spaltung gearbeitet. Er war die Überwindung der Spaltung. Er ist Gottes ausgestreckte Hand über alle Gräben hinweg. Und ihm folgen heißt, mit ihm und nach ihm an der Überwindung der Spaltung zu arbeiten.

Amnesty tut das, indem es Geschichten erzählt und den Opfern ein Gesicht gibt. Damit fängt es an: dass wir das Gesicht eines Menschen betrachten und darin die Würde zu ahnen beginnen, die Gott uns geschenkt hat. Die Würde, die unantastbar ist. Gott sei Dank steht dieser Satz in der Verfassung. Aber wir müssen daran arbeiten, dass er nicht nur dort steht, sondern in unserem Leben. Und das ist auch in einem Land wie unserem nicht selbstverständlich.

(gekürzte Version einer Predigt von Jo Römelt aus 2007 aus einem Gottesdienst mit der Ortsgruppe Solingen von Amnesty International)

 M. Nicolini / J. Römelt

  privat / amnesty international