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Gib Frieden, Herr, gib Frieden!
Gedanken von Pfarrer Jo Römelt zum Krieg in der Ukraine: Waffenlieferungen ja oder nein?
24. Februar 2022 – dieses Datum hat sich fest und schmerzhaft in unser Gedächtnis eingebrannt. Jetzt jährt es sich zum ersten Mal; ein furchtbares Jubiläum. Und die Frage stellt sich dringender – und ungeklärter – denn je: Wie kann dieser Krieg beendet werden? Was muss getan oder gelassen werden, damit ein Ende möglich wird?
Schon lange hört man den Satz, unser Land sei in dieser Frage gespalten. Und Meinungsumfragen scheinen dem Recht zu geben: Regelmäßig sind dort etwa die Hälfte der Befragten für Waffenlieferungen an die Ukraine und etwa die Hälfte dagegen. Auch in Leserbrief-Foren stehen sich Befürworter:innen und Gegner:innen gegenüber, oft mit scharfen Angriffen gegen die andere Seite.
Ich persönlich glaube eher nicht, dass unsere Bevölkerung in Deutschland in dieser Frage so stark „gespalten“ ist, wie oft gesagt wird. Ich vermute eher, vielen Menschen geht es wie mir: Ich bin hin- und hergerissen. Zwei Stimmen diskutieren auch jetzt noch ständig in mir. Die eine sagt: „Dieses schreckliche Töten muss so schnell wie möglich beendet werden. Wohin soll es führen, wenn weiterhin immer mehr und immer neue Waffen geliefert werden?“ Die andere Stimme entgegnet: „Wir dürfen die brutal überfallenen Ukrainer:innen nicht ihrem Schicksal überlassen. Sie haben ein Recht, sich zu verteidigen. Wir müssen sie unterstützen. Und das bedeutet in diesem Fall: Waffen liefern.“
Ich vermute, in vielen Köpfen in unserem Land sieht es sehr ähnlich aus. Manche Menschen sind komplett unentschieden. Andere tendieren klar in eine Richtung. Bei vielen aber, so glaube ich, schlägt das Pendel nur knapp in die eine oder andere Richtung aus. Bei mir ist es die zweite Stimme: Ich kann mir derzeit nicht vorstellen, die Waffenlieferungen einfach einzustellen, wie es z.B. zuletzt das Manifest von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer gefordert hat. Das auch von der von mir sehr geschätzten Margot Käßmann unterzeichnet wurde. Einstellung der Waffenlieferungen käme m.E. der Forderung gleich, die Ukraine möge sich einem brutalen Angreifer unterwerfen. Und da kann ich nicht mitgehen. Auch wenn das meiner ursprünglich eher pazifistischen Haltung schmerzhaft entgegensteht. Und ich komme nicht drum herum: Der Gewaltverzicht Jesu in der Bergpredigt ist ein bleibender Stachel in dieser meiner Haltung. Und muss es auch sein. Andererseits: Jesus hat gesagt: „Wenn DICH einer auf die rechte Wange schlägt, halte ihm auch die linke hin!“ Diese Aufforderung gilt also für Situationen, in denen ich selbst angegriffen werde. Aber wie ist es, wenn in relativer Nähe andere Menschen totgebombt, gefoltert, vergewaltigt werden? Kann ich mit Hinweis auf Jesus von ihnen verlangen, Christenmenschen müssten das ertragen? Und hat Jesus diesen Satz überhaupt im Blick auf ein so schreckliches Ereignis gesagt und gemeint? Ich weiß es nicht.
Klar ist für mich: Waffenlieferungen können nur kurzfristig eine Hilfe für die Ukraine sein, sich zu verteidigen. Sie sind keine Lösung. Sie beenden den Krieg auch nicht. Das wird letzten Endes nur mit Gesprächen möglich sein. Klar ist auch: der Satz „Frieden schaffen ohne Waffen“ hat als Ziel und langfristige Perspektive nichts von seiner Gültigkeit verloren. Die Frage ist nur: Wie kommt man in eine Situation, in der es möglich wird, gemeinsam an einer neuen Friedensordnung zu arbeiten? Ich glaube: nicht durch das sofortige Einstellen von Waffenlieferungen. Vielleicht aber durch das Gewinnen anderer Partnerländer, die Russland näherstehen und nicht durch Waffenlieferungen involviert sind. Zu einer Koalition von Ländern, die versuchen, Russland zu einer Änderung seiner Kriegspolitik zu bewegen. Diesen Vorschlag macht die Philosophin Olivia Mitscherlich-Schönherr in der Frankfurter Rundschau vom 15. Februar.
Was meines Erachtens auch nötig ist: Abrüstung in unserer Diskussion zu diesem Thema. Es hilft überhaupt nicht, wenn in Debatten die andere Seite persönlich und mit zornigen Worten angegangen wird. Wenn nur von „verantwortungslosen Pazifisten“ auf der einen und von „kriegslüsternen Bellizisten“ auf der anderen Seite die Rede ist. Warum bleiben wir nicht auf der inhaltlichen Ebene? Und diskutieren sachlich über Vorschläge, anstatt uns Etiketten aufzukleben und gegenseitig zu diskreditieren. Den anderen / die andere als Gegenüber zu sehen, das wie wir diesen Krieg furchtbar findet und fragt, wie das Grauen beendet werden kann, das wäre doch schon mal etwas. Und das können wir – im Gegensatz zu vielem anderen – selbst beeinflussen. Und natürlich können wir für den Frieden beten. Miteinander. Oder wenigstens nebeneinander.
Jo Römelt
Screenshot/Kirchenkreis SG/EKD