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Krieg ist eine Geißel der Menschheit.
Der Dorper Historiker Dr. Horst Sassin zum Ende des 2. Weltkriegs vor 79 Jahren.
Seit Napoleon I. entscheiden die Massenaufgebote von Soldaten über Sieg oder Niederlage. Dazu die bessere Strategie, Taktik und Bewaffnung. Ein solcher Krieg war der Zweite Weltkrieg, der in Europa am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation NS-Deutschlands endete.
Adolf Hitler wollte seit dem Beginn seiner Kanzlerschaft 1933 Krieg führen, um Deutschland zur Weltmacht zu machen. Er wusste Menschen für sich einzunehmen, aber nüchterne Naturen durchschauten ihn. Dazu gehörte der evangelische Historiker Friedrich Thimme, Mitherausgeber der großen Aktenedition „Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871-1914“. Mitte Februar 1933 schrieb er in einem privaten Brief über Hitler und andere Nazi-Größen: „Für mich ist jeder, der an ihre großen Verheißungen, gar an ihre christliche Gesinnung glaubt, ein Tor. An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen; und diese Früchte heißen eben Mord, Totschlag, Gewalttaten jeder Art, Postenjägerei.“ Und im März 1933: „Was wir aber heute in Deutschland erleben, ist, am Evangelium gemessen, das ausgesprochenste Heidentum: statt Nächstenliebe Haß, der vor keiner Vergewaltigung Andersdenkender zurückschreckt, statt Gerechtigkeit von oben die schreiendste Ungerechtigkeit, statt Wahrheit bewußte Irreführung des Volkes, Lüge, Verdrehung usw.“
Das Volk nahm es hin. Es konnte von dem neuen System profitierten, sofern es nicht politisch, religiös, rassistisch oder sozial verfolgt wurde. Die gewaltige Aufrüstung, die in kürzester Frist ein Millionenheer aufbaute und ausrüstete, dazu die Luftwaffe und die Marine, wurde auf Kosten einer dramatischen Staatsverschuldung vorangetrieben. Hitler wollte den Krieg, und er war enttäuscht, als er ihn Ende 1938 nicht bekam, weil die Westmächte einlenkten und die Tschechoslowakei opferten. 1939 waren die deutschen Staatsfinanzen durch die hemmungslose Aufrüstung zerrüttet, obwohl die Staatskassen Österreichs und der Tschechei in die deutschen Staatsfinanzen geflossen waren. Dieses Modell wiederholte sich mit jedem Land, das deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg überfielen. Die überfallenen Länder wurden hemmungslos ausgebeutet, die politisch und rassistisch unerwünschten Menschen verfolgt.
Der Zweite Weltkrieg war mit einer ungeheuren Brutalisierung verbunden, einerseits durch die Vernichtungskraft der modernen Waffen, andererseits durch den Völkermord an den europäischen Juden sowie den Sinti und Roma. Durch die Dauer des Weltkriegs und die massenhafte Einziehung vor allem junger Männer zur Wehrmacht verlängerten sich die Schrecken des Krieges. Wenn der Aufstand der Anständigen, den Claus Graf Schenk von Stauffenberg mit dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 auszulösen hoffte, gelungen wäre und wenn zu diesem Zeitpunkt der Zweite Weltkrieg beendigt worden wäre, wäre Deutschland mehr als die Hälfte der Bombenlast, die es im Zweiten Weltkrieg insgesamt traf, erspart geblieben.
Solingen war jahrelang nur von geringfügigen Bomber-Angriffen betroffen. Zum Vergleich: Köln war am 31. Mai 1942 Ziel eines 1000-Bomber-Angriffs war und wurde am 29. Juni 1943 noch schwerer getroffen.
Wuppertal-Barmen wurde am 29./30. Mai 1943 und Wuppertal-Elberfeld am 24./25. Juni 1943 Ziele von Flächenbombardements. Düsseldorf erlitt am 12. Juni 1943 und erneut am 2. November 1944 schwere Bombardements.
Am 4./5. November 1944 war es dann Solingen, das schwer bombardiert wurde.
Am Samstag dem 4. November 1944 wird die Dorper Kirche bei einem Fliegerangriff schwer beschädigt. Das Pfarrhaus Schützenstraße mit Kindergarten und Betsaal wird total zerstört, die Pfarrfrau Wieter verwundet. Das Küsterhaus Grünbaumstraße 5 und die Friedhofskapelle Grünbaumstraße sind leicht beschädigt. Bomben fallen auch auf den Friedhof Grünbaumstraße. Der Leichenraum der Friedhofskapelle dient Anwohnern als Luftschutzraum. Schwere Schäden erleiden im Dorper Pfarrbezirk auch das Pfarrhaus Bülowstraße 13 und das Gemeindehaus Bismarckstraße 13.
(aus: Die Dorper Kirche, 2007)
In der Folge war die Innenstadt ein Trümmermeer, mehr als 1800 Tote gab es zu beklagen, die häufig fast restlos verbrannt waren. Deshalb wurde in den Massengräbern die Asche ganzer Familien, soweit sie nicht zum Kriegsdienst eingezogen waren, notgedrungen in Pappschachteln beerdigt. Beerdigt wurden kurz vor dem Einmarsch der US-Armee in Solingen auch die 71 am Wenzelnberg ermordeten Häftlinge, mehrheitlich aus der Haftanstalt Lüttringhausen, derer von Solingen und den Nachbarstädten jährlich gedacht wird. Was der Historiker Thimme gleich nach Hitlers Übernahme der Kanzlerschaft diagnostiziert hatte, hinterließ zwölf Jahre später eine moralische Verwüstung.
Während die politisch und rassistisch Verfolgten nun aufatmen konnten, mussten die Täter und die Zuschauer sich nach ihrer Verantwortung fragen lassen. Zu den Verfolgten gehörten in Solingen der Linkssozialist Heinrich Schroth, der die Schrecken des Wuppertaler KZ Kemna überlebte, und die Kinderärztin Dr. Erna Rüppel, die seit 1942 illegal im Untergrund lebte und sich jeden Moment vor einer Entdeckung, die zur Deportation geführt hätte, in Acht nehmen musste. Zu den Tätern gehörte der Organisator der Massendeportationen in die Vernichtungslager, Adolf Eichmann, der in Solingen geboren wurde und bereits in seiner Kindheit mit den Eltern nach Österreich zog, und der unweit von Eichmanns Geburtshaus wohnende Paul Blobel, der Mitverantwortliche an dem größten einzelnen Pogrom, bei dem 33.771 Juden aus Kiew in der Schlucht von Babyn Jar binnen zwei Tagen ermordet wurden.
Die Nachkriegsgesellschaft war lange durch die Täterfamilien, die vielfach auf einen Schlussstrich drängten, und durch die aufklärungswilligen, verantwortungsbewussten Bürgern, später auch durch die aufbegehrende junge Generation, im Aufruhr.
Dr. Horst Sassin
Archiv Ev. Kirchenkreis Solingen; Harry Passolt; privat