Blog
„Ob ein Mensch schwerhörig oder ertaubt ist – man sieht es ihm nicht an.“
Pfarrer Josef Groß: Warum es den Tag der Gehörlosen (am 29.9.) braucht.
Ende des letzten Jahrtausends wurde ein festlicher Reformationsgottesdienst gefeiert. Für Gehörlose habe ich ihn zusammen mit einer Gebärdensprachdolmetscherin übersetzt. Nach dem Gottesdienst kam ein Kollege auf mich zu und meinte: „Schade! So viel Aufwand. Und dann kommt keiner!“ Das irritierte mich. Tatsächlich hatte ich dreißig Gehörlose gesehen. Die Hälfte saß da, wo in der ersten Reihe Plätze für sie freigehalten waren. Natürlich saßen da auch Guthörende, weil man von dort am besten sah. Die anderen Gehörlosen waren im Kirchschiff verteilt. Sie wollten nicht auffallen.
Deshalb braucht es einen „Tag der Gehörlosen“ – weil sie unsichtbar sind. Ob ein Mensch gehörlos ist, schwerhörig oder ertaubt – man sieht es ihm nicht an. Und vielen ist es immer noch peinlich und sie verstecken es.
Heute dolmetsche ich keinen Festgottesdienst mehr. Früher waren Gehörlose dankbar, dabei sein zu dürfen – heute sind sie selbstbewusst genug für sich zu entscheiden, dass sie die vielen Lieder, die Musik und den Chor nicht aussitzen müssen.f
Der Verein ist die Heimat des Gehörlosen. In Solingen gab es früher vier Gehörlosenvereine. Hier konnte ungestört gebärdet werden, hier wurde die Woche gemeinsam organisiert. Die Gehörlosenvereine waren auch ein finanzieller Rückhalt. Mit den Beiträgen wurden Zuschüsse bei Hochzeit, Geburten und Taufen gegeben. Gemeinsame Reisen wurden angespart. Um die Freizeit zu organisieren, reicht heute das Handy. Es gibt heute Gebärdensprachdolmetscher und ein Recht, sie zu Ämtern mitzunehmen. Die Stadt Solingen hat eine Sprechstunde für Gehörlose und wer mit einem Hörenden telefonieren muss, benutzt TESS-Relayservice. Per Video wird ein Gebärdensprachdolmetscher zwischengeschaltet, der den Hörenden anruft.
Zurzeit gibt es in Solingen nur noch zwei Gehörlosenvereine. Einmal die evangelische Gehörlosengemeinde, die sich in der Stadtkirche Ohligs zu Gottesdienst und gemeinsamer Feier trifft. Und es gibt das Theodor-Fliedner-Heim, ein Altenheim für Gehörlose. Es wird vom evangelischen Kirchenkreis Solingen getragen und vom zweiten Verein: dem Verein der Hör- und Sprachgeschädigten.
Manchmal werde ich gefragt: „Wie sind Gehörlose?“ Wie Guthörende auch: Jeder ist anders. Nur dass sie Lautsprache nicht oder nicht ausreichen hören können und anders kommunizieren müssen. Meistens in Gebärdensprache.
Zur Person:
Pfarrer Josef Groß aus Düsseldorf ist seit 1997 in der Gehörlosen- und Schwerhörigenseelsorge tätig. Die Gehörlosen- und Schwerhörigenseelsorge in unserer Region (Bergisches Land) umfasst die Kirchenkreise Solingen, Lennep und Düsseldorf plus Wuppertal, Niederberg und Düsseldorf-Mettmann. Ein Schwerpunkt liegt in der Beratung von Ortsgemeinden und in Vorträgen. Josef Groß ist verheiratet und hat zwei Kinder. Kontakt: sms/whatsapp/mobil: 0177 603 20 75
Josef Groß
privat